Ernst Bromeis ist Wasserbotschafter und Expeditionsschwimmer. Mit spektakulären Aktionen macht macht er darauf aufmerksam, dass sauberes Wasser nicht unbegrenzt vorhanden ist.
Stellen sie sich vor, ein Dutzend Einwohner eines Dorfes treffen sich spontan an einem verregneten Sonntagmorgen im Saal der eines Restaurants. Die Menschen haben die Idee, dass sich ihr Dorf zu einem Weltwasserzentrum entwickeln soll. Nach zwei Stunden steht eine erste Version eines Konzeptes. Es zeigt sich aber, dass weitere Informationen zur Umsetzung nötig wären. Ohne grossen Aufwand ist es möglich zwei Experten beizuziehen, auch ein Vertreter der Gemeinde ist schnell hinzugezogen...
Was ist hier passiert? Es kann sein, dass die Menschen das kluge Buch von Ernst Bromeis gelesen haben oder dass sie sich mit den Zeitstrukturen moderner Gesellschaften auseinandergesetzt haben. Beides kann dieselben Auswirkungen haben.
Im Gespräch mit Ernst Bromeis wird sofort klar, dass sein Einsatz für Wasser keine Marketingstrategie ist, sondern dass Wasser ihm viel bedeutet. Wasser ist für Ernst Bromeis kein Um-zu-Ding; Wasser bedeutet für ihn mehr als etwas das man braucht, um zu kochen, das man braucht, um seinen Durst zu löschen, das man braucht, um die Toilette zu spülen. Die Beziehung von Ernst Bromeis zur Welt und zum Wasser ist eine resonante Beziehung. Sie ist gekennzeichnet durch intrinsisches Interesse und Selbstwirksamkeitserwartung. Subjekt und Welt berühren und transformieren sich gleichzeitig und gegenseitig.
„Erst wenn wir sehen, dass aus der Brause, im Wellnessbad, aus der Schnee- kanone, im Wasserkraftwerk, in der Autowaschanlage, im Fleisch, im T-Shirt oder in der Toilettenspülung das Leben fliesst, sind wir vom Wasser und Le- ben berührt, denn nur als berührte Menschen können wir handeln. „
Ernst Bromeis, Jeder Tropfen zählt.
Nicht Öl ist meiner Meinung der knappste Rohstoff, sondern es sind dies Wasser und Zeit. Zeit und Wasser lassen sich nicht vermehren und sie sind nicht substituierbar. Zeit ist immer Lebenszeit und die Menge des zur Verfügung stehenden Trinkwassers ist mit 3.6 Millionen Kubikkilometer gegeben. In unserem alltäglichen Handeln verhalten wir uns aber so, als sei Wasser eine unbeschränkte Ressource, und wir verhalten uns so, als könnten wir Zeit sparen und gewinnen.
Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch eine dynamische Stabilisierung aus. Gibt es kein Wachstum, gibt es keine Innovationen und Effizienzsteigerungen, so tendieren Gesellschaften, Unternehmen und Institution instabil zu werden. Un- ser Alltag ist durchtränkt von der dieser dynamischen Stabilisierung innewohnen- den Steigerungslogik. Der Preis den wir dafür zahlen ist hoch: Die Instrumentalisierung von Beziehungen macht vor keinem Bereich des Alltages halt. Die Welt wird zur Ressource. Zeit und Wasser werden zur Ressource. Zeit wird verdichtet und Wasser genutzt.
Liest man das Buch von Ernst Bromeis, wird einem recht schnell klar: Er hat einen ethischen, moralischen und gesellschaftlichen Kompass. Seine Handlungsrichtung wird nicht vom Wind bestimmt.
„Ich fühle mich auf meinen Expeditionen mehr als Seefahrer. Ich wähle einen Kurs und schwimme in die Richtung, die ich will. „
Ernst Bromeis, Jeder Tropfen zählt
Die dynamische Stabilisierung gepaart mit einem ethisch offenen Horizont lässt eine neue Subjektivität aufblühen, die sich stark von der des Seefahrers unterschei- det; nämlich die des Wellenreiters. Ein Surfer hat kein fernes Ziel; sein Ziel besteht darin, möglichst lange auf einer guten Welle zu reiten, um an deren Ende auf die nächste Welle zu warten. Es lässt aber weltweit zeigen, dass es immer mehr Men- schen gibt, die es nicht mehr schaffen, sich oben auf der (Erfolgs) Welle zu halten. Sie fallen vom Wellenberg ins Wellental. Richard Sennet spricht in seinem Buch „der flexible Mensch“ von einer Drift; die Menschen werden von den Wellen hin und her geworfen und sie schaffen es nicht mehr auf den Wellenberg. Drifter sind externen Logiken, Pflichten und Notwendigkeiten beliebig ausgeliefert und haben wenig Chancen ihre eigene Lebensgeschichte zu schreiben. Wenn Drifter sauberes Wasser wollen, müssen sie dies in Flaschen abgefüllt kaufen.
Aus einer zeitbildnerischen Perspektive sind die beiden Rheinexpeditionen in den Jahren 2012 und 2014 interessant und sehr aufschlussreich. Die erste Rhein- etappe musste Ernst Bromeis nach 13 Tagen und 426 Kilometern abbrechen. Eine zu starre Orientierung an externen zeitlichen Normen mit wenig Zwischenzeiten und schlechte Wetterbedingungen führten zu Abbruch des Unterfangens.
„Mein Kopf „gehörte“ zwar mir, doch ich liess mich zu stark in den Strudel des Marketings hineinziehen. „
Ernst Bromeis, Jeder Tropfen zählt.
Was Ernst Bromeis in diesem Zusammenhang erlebte und in seinem Buch be- schreibt, erleben viele Menschen heute als alltäglich Normalität. Eingebunden in die Zwänge externer zeitlicher Normen unter dem Patronat einer „Rhetorik des Müssens“ sehen sie den Horizont ihres Tuns nicht mehr. Die damit einhergehende Entfremdung beschreibt Ernst Bromeis in seinem Buch treffend.
„Fixe Etappenpläne sind eine Arroganz dem Fluss gegenüber.(...)Ich muss- te funktionieren, und der Fluss musste mitmachen.(...)Die nächste Tage bis zur definitiven Aufgabe waren die schlimmsten in meinem Leben.(...)Dieses Gefühl, sich selbst immer mehr fremd zu werden, depressiv Kilometer für Kilometer innerlich zu bringen und kein Ende zu sehen, werde ich nie mehr vergessen.“
Ernst Bromeis, Jeder Tropfen zählt
Für die zweite Rheinexpedition zog Ernst Bromeis die richtigen Schlüsse. Er organisierte die Expedition so, dass der Fluss eine Quelle von Resonanzerfahrungen sein konnte. Der Widerspruch des Flusses musste ins eigene Handeln eingebunden werden. Aber das braucht Zeit.
„Nichts war vorbestimmt, weder Zeit- noch Terminplan.(...) Der Fluss, das Wetter und ich würden ab jetzt in Symbiose leben. „
Ernst Bromeis, Jeder Tropfen zählt
Die erste und die zweite Rheinexpedition beschreiben meiner Meinung nach exemplarisch den Übergang von teilweise institutionalisierten Weltbeziehungen zu antwortenden Weltbeziehungen.
Ernst Bromeis hat die dem Projekt überschriebene Frage von „Was macht der Rhein mit dem Menschen?“ (Erste Expedition) zu „Was macht der Mensch mit dem Rhein?“ (Zweite Expedition) umformuliert. Analog könnte man die Frage „Was macht die Zeit mit dem Menschen?“ ändern in „Was macht der Mensch mit der Zeit?“. Eine interessante Frage.
Ernst Bromeis (2016): Jeder Tropfen zählt. Schwimmen für das Recht auf Wasser. rüffler & rub.
Infos zum Thema Wasser: www.dasblauewunder.ch
Infos zum Thema Zeit: www.zeitbildung.ch